Schonzeit! Warum Rehe jetzt Ruhe brauchen

Schonzeit! Warum Rehe jetzt Ruhe brauchen
Schonzeit! Warum Rehe jetzt Ruhe brauchen

Zwischen frischem Blattaustrieb, spriessendem Gras und den ersten wärmeren Tagen beginnt im Wald eine besonders sensible Phase für das Rehwild: die Zeit von Geburt und Aufzucht. In vielen Kantonen gelten dafür spezifische Schonzeiten – meist zwischen April und Ende Juli –, um Rehgeissen und ihre Kitze in dieser kritischen Phase zu schützen und unnötige Störungen zu vermeiden.

Rehe gehören zum vertrauten Bild unserer Landschaft. Man sieht sie am Waldrand, auf Feldern oder in der Nähe von Siedlungen – meist vorsichtig, aber erstaunlich anpassungsfähig. Ursprünglich bevorzugten sie halboffene Lebensräume: lichte Wälder, Heckenlandschaften und Übergangszonen. Doch mit der zunehmenden Flächenversiegelung und intensiven Nutzung des Kulturlandes haben sich viele Rehe in ruhigere, bewaldete Gebiete zurückgezogen. Der Wald wurde so zum Rückzugsort – nicht aus Vorliebe, sondern aus Notwendigkeit.

Gerade im Frühling sind Rehe besonders empfindlich. Die Paarung erfolgt bereits im Sommer, doch die Natur hat vorgesorgt: Die befruchtete Eizelle bleibt über Monate in sogenannter Keimruhe. Erst im Winter beginnt sich der Embryo zu entwickeln – sodass das Kitz im Mai oder Juni zur Welt kommt. Ein exakter Zeitplan, abgestimmt auf Temperatur, Futterangebot und Schutzmöglichkeiten.
Nach der Geburt beginnt eine heikle Phase: Das Kitz kann noch nicht fliehen – deshalb legt die Rehgeiss es gut versteckt im hohen Gras ab, häufig am Rand von Wiesen oder Feldern. Sie wählt diesen Ort bewusst, denn im Wald fehlt oft die deckende Vegetation. Das Jungtier ist durch sein geflecktes Fell hervorragend getarnt, liegt bewegungslos und ohne Eigengeruch. Die Mutter bleibt in der Nähe und kehrt mehrmals täglich zum Säugen zurück. Diese Ruhe ist überlebenswichtig. Störungen durch Menschen, Hunde oder Landmaschinen können dazu führen, dass das Kitz verletzt wird – oder die Mutter es aufgibt.

Hilfseinsätze für die Kitz
Zwischen Mai und Juli beginnt vielerorts das Mähen der Wiesenflächen. Doch genau in dieser Zeit liegen viele Rehkitze noch gut versteckt im hohen Gras. Immer mehr Landwirtinnen und Landwirte handeln deshalb vorausschauend – in enger Zusammenarbeit mit der Jägerschaft. Noch vor Sonnenaufgang werden die Flächen mit Drohnen, die mit Wärmebildkameras ausgerüstet sind, abgesucht. Oder auch sogenannte Vergrämungsmassnahmen kommen zum Einsatz: flatternde Bänder, reflektierende Elemente oder Duftstoffe veranlassen die Rehgeissen dazu, ihre Kitze vorübergehend an einen geschützten Ort zu bringen. Diese stille Rettungsaktion ist ein eingespieltes Miteinander – aus Respekt vor dem Leben. Leise, effizient, wirksam.
Doch nicht nur Maschinen und grössere Raubtiere sind eine Gefahr – auch wir Menschen stören mitunter unbeabsichtigt. Spaziergänge abseits der Wege, sportliche Aktivitäten in sensiblen Randzonen oder freilaufende Hunde können das Wild erheblich beunruhigen. Besonders bei Hunden ist Vorsicht geboten: Auch gut erzogene Tiere nehmen Wildtiere früh wahr – und folgen im entscheidenden Moment oft ihrem Instinkt. Schon das Aufstöbern genügt, um Rehe in Alarmbereitschaft zu versetzen oder ein Kitz in Gefahr zu bringen.
Rehe fliehen meist nur kurz, doch ständige Störungen hinterlassen Spuren: Trächtige Geissen verlieren an Substanz, Kitze werden unruhig – im schlimmsten Fall verstossen. Die Schonzeit gibt dem Rehwild die nötige Ruhe und hilft, solche Situationen zu vermeiden. Wer in dieser Phase Rücksicht nimmt, unterstützt das Gelingen der Aufzucht – mit wenig Aufwand, aber grosser Wirkung.

„Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt.“ – Konrad Lorenz