Morgens um fünf Uhr. Auf dem Land, in der Stadt schläft es noch, aber auf den Dächern, in Hecken, an Fenstersimsen ist bereits Hochbetrieb. Es zwitschert, schilpt, tschirpt – laut, monoton, energisch. Der Haussperling meldet sich zuverlässig in der Morgendämmerung zu Wort. Nicht einzeln, nicht melodiös, aber unüberhörbar im Chor. Der Spatz, wie er meist genannt wird, ist kein Solist. Er ist ein Gruppenwesen. Ein Überlebenskünstler mit rauer Stimme und direktem Tonfall.
Also einmal ganz ehrlich – Ihr könnt nicht singen… Was du da veranstaltest, ist eher… ein lautes Gekrächze. Ein Tschilpen, ein Pitsch, ein Tschirrep. Sag mal, Spatz – kannst du nicht schöner?
Spatz (dreht den Kopf, plustert sich auf):
Mmh.. ich weiss, ich bin kein Opernsänger. Ich bin eher ein Strassenpoet. Unser Stimmorgan – die Syrinx – ist zwar da, aber einfacher gebaut als bei anderen Vögeln. Zum Beispiel bei Amseln oder Nachtigallen: Die haben feine Muskelstränge rund um die Syrinx und können damit kunstvoll trillern, modulieren und ganze Melodiebögen bauen. Wir? Wir tschilpen direkt aus dem Bauch. Weniger Muskeln, weniger Kontrolle. Das heisst: wenig Variation, keine Tonhöhenkunst.
Keine Melodie, dafür jede Menge Botschaften?
Ganz genau. Wir leben in Gruppen, nicht in Einzelrevieren. Unser Tschilpen ist sozial. Abstimmung, Warnung, Geplapper. Wenn’s drauf ankommt, können wir auch anders: sanfte, nasale Lockrufe etwa – ein „djie“. Damit geht’s dann zur Sache. Paarung und so.
Euer Krach – Eure Sprache?
Klar! „Vorsicht Katze!“, „Da ist noch ein Krümel!“, „Weg da, der Ast ist meiner!“. Wir haben über 20 unterschiedliche Rufe. Warnrufe, Lockrufe, Streitrufe, Balzrufe. Musik ist das vielleicht nicht – aber funktional… Und wir können sogar andere Vögel imitieren – manchmal Meisen oder Stare. Warum? Ihr vermutet, dass solche Imitationen uns der sozialen Anpassung dienen oder helfen, Feinde zu verwirren.
Wie lebt ihr eigentlich? Immer so laut?
Wir sind sehr gesellig. Leben in Gruppen, schlafen auch gemeinsam in Hecken, unter Dächern, auf Balken. Schlafen? Ja, je nach Jahreszeit bis zehn Stunden pro Nacht, oft im Schutz der Dunkelheit.
Und bei der Fortpflanzung seid ihr… sagen wir mal… fleissig?
Du meinst, weil wir so oft vögeln? Nun ja – Paarung geht bei uns mit leisem „djie“ und „iag iag“. Manchmal fünfzehn Mal am Tag. Manche nennen das promisk – wir nennen’s soziale Bindungspflege. Und danach wird’s erst richtig intensiv: Zwei bis drei Bruten pro Jahr, meist vier bis sechs Eier. Beide Eltern füttern. Und zwar ununterbrochen. Insekten für die Küken, Körner für uns.
Wie alt wirst du eigentlich?
In der freien Wildbahn meist zwei bis drei Jahre. Mit Glück auch fünf. In Gefangenschaft sogar zehn. Wir sind ständig unterwegs. Stadt, Land, Dachrinne – wir nehmen’s, wie’s kommt.
Und das schon lange?
Über 10.000 Jahre. Wir haben uns euch Menschen angeschlossen. Kulturfolger nennt ihr das. Wo ihr seid, sind wir oft auch. Weltweit über 1,6 Milliarden. Aber es werden weniger.
Warum?
Weniger Hecken, weniger Insekten, weniger Lücken in Mauern. Alles wird glatt, sauber und versiegelt. Auch in der Schweiz sind unsere Zahlen rückläufig. Seit 1990 sind wir um über 30 % weniger geworden – vor allem in den Städten. Seit 2021 stehen wir sogar auf der Roten Liste der Brutvögel der Schweiz – dies als potenziell gefährdet. Viele merken unser weniger Werden gar nicht, weil wir immer noch laut sind.
Was brauchst du?
Etwas Unordnung. Nischen. Kein glatter Kiesplatz. Hecken, Wildwuchs, Wasserstellen. Und bitte nicht alles wegfegen… Was für euch ein Krümel ist, ist für uns ein Festmahl.
Aktuell bist Du einer der häufigsten – und trotzdem einer, den wir verlieren könnten?
So könnte man es sagen. Aber ich bin noch da. Und morgen früh, bin ich garantiert wieder wach und schmettere drauflos – keine Arien – aber mit Herz.
„Die Morgendämmerung ist eine ständige Einladung, das Leben erneut zu versuchen.“ - Henry David Thoreau